… dass es Gold werden kann

Umschlagbild der Erstausgabe

…dies Erz ist Kupfer,
das hat in seiner Natur,
dass es Gold werden kann,
darum ruht es nicht,
bis es eben diese Natur erreicht.

Meister Eckhart (1260 – 1328)

Vom christlichen Standpunkte aus gesehen war die Alchemie etwas wie ein natürlicher Spiegel der offenbarten Wahrheiten: der Stein der Weisen, der die unedlen Metalle in Silber und in Gold zu verwandeln vermag, ist ein Abbild Christi, und seine Entstehung aus dem „nicht brennenden Feuer“ des Schwefels und dem „beständigen Wasser“ des Quecksilbers gleicht der Geburt des Christus- Emanuel.

Durch ihre Angleichung an den christlichen Glauben wurde die Alchemie geistig befruchtet, während das Christentum in ihr einen Weg gewann, der über die Betrachtung der Natur zur wahren Gnosis führen konnte.

Man hat oft das siebzehnte Jahrhundert als die eigentliche Blütezeit des europäischen Hermetismus bezeichnet. In Wirklichkeit aber setzt dessen Zerfall schon mit dem fünfzehnten Jahrhundert ein, in eben dem Maße, als die humanistische und grundsätzlich schon rationalistische Entwicklung des abendländischen Denkens jeder geistig intuitiven Gesamtschau den Boden entzieht. Es ist wahr, daß zunächst, um die Wende zur Neuzeit, die Elemente einer echten Gnosis, durch die einseitig gefühlsmäßige Richtung der späten christlichen Mystik auf der einen und durch den agnostischen Hang der Reformation auf der anderen Seite aus dem theologischen Bereiche verdrängt, in der spekulativen Alchemie eine Zuflucht finden. In diesen Zusammenhang gehören Erscheinungen wie die hermetischen Anklänge bei Shakespeare, Jakob Boehme und Johann Georg Gichtel.

Titus Burckhardt (1908 – 1984): Alchemie. Sinn und Weltbild. Olten / Freiburg, 1960.

Neu herausgegeben im Chalice-Verlag: https://chalice-verlag.de/alchemie-alchimie/

Die Geburt der Mystik in der menschlichen Seele

Kachel von Josef Albers / Foto: (c) wak

Als der Urmensch diese irdische Welt betrat, und seine Augen das Licht empfingen; als er zum ersten Male die mannigfache Schönheit und die reizvolle Pracht der Natur um sich herum erschaute, und als er seine Blicke, einem unschuldigen Kinde gleich, nach oben erhebend die Sonne, den Mond und die unzählbaren Gestirne in dem hohen Gewölbe des Himmels betrachtete, da bewegte sich in seinem unbefleckten Herzen ein namenloses Sehnen, ein zartes, bebendes und geheimnisvolles Gefühl der Bewunderung, der Ehrfurcht und der Dankbarkeit. Dies war die Geburt der Mystik in der menschlichen Seele!

Aus dem Vorwort zu „Leben und Sprüche der Sufi-Meister des Islams“. Aus dem Persischen übersetzt von Hossein Kazemzadeh Iranschähr (1884 – 1962)

Sanftmut und Liebe zur Welt

Foto: (c) wak

Der Mystiker liebt diese Welt, liebt den Nächsten, tut alles für ihn, aber schon nicht mehr um Lohn, nicht um Dankbarkeitserweise zu erhalten. Er tut es umsonst, er weiß nicht einmal, daß er es tut. Es freut ihn, wenn der andere sich freut, daß er für ihn da ist, ohne es zu wissen. Es bedeutet eine Sanftmut, eine Liebe zur Welt, zu den Menschen, und nicht nur zum „Nächsten“, wie man sagt; jeder Mensch ist „der Nächste“, jedes Tier, jede Pflanze. Es ist die Sehnsucht nach anderen Welten, die Sehnsucht nach der großen Einheit von Diesseits und Jenseits, Erde und Himmel, wo alle Generationen in einem da sind, alle deine Wünsche, deine Gedanken, deine Hoffnungen erfüllt sind. Wenn du dich danach sehnst, kann der Weg beginnen.

Friedrich Weinreb (1910 – 1988)

Liebe zur Wahrheit und zum Leben

Foto: (c) wak

Die Suche nach der Realität
ist die gefährlichste
aller Unternehmungen,
denn sie wird die Welt,
in der du lebst, zerstören.
Doch wenn dein Motiv
die Liebe zur Wahrheit
und zum Leben ist,
brauchst du keine Angst zu haben.

Nisargadatta Maharaj (1897 – 1981)

Abwechselnd zu Gott reiten

Photo by Anastasia Shuraeva on Pexels.com

Auf die Frage, wie es ihm ginge, antwortete Ibrahim:
Ich habe vier Reittiere,
auf denen ich abwechselnd reite zu Gott.
Wenn ein Glück mich trifft,
reite ich auf dem Pferde des D a n k e s.
Wenn ich eine Sünde verübt habe,
reite ich auf dem Pferde der B u ß e.
Wenn ein Leid mich überfällt,
steige ich auf das Pferd des D u l d e n s,
und wenn eine gute Tat von mir verübt wird,
dann reite ich auf dem Pferd der T r e u e!

Ibrahim Adham (8. Jh.)

Dankbarkeit und Freude für jeden Tag

Photo by Julia Volk on Pexels.com

Wenn wir uns immer wieder daran erinnern, dass der Tod gewiss ist, aber das Leben nicht, dann werden wir in uns auch Dankbarkeit und Freude empfinden für jeden Tag, der uns beschieden ist.

Ayya Khema (1923 – 1997)

… dass du dein Herz wach erhältst

Rabia von Basra / Archiv

O Mensch!
Durch die Augen führt kein Weg zu Gott!
Durch die Zunge erreichst du Ihn auch nicht.
Das Ohr ist nur der peinvolle Weg der Redner,
und Hände und Füße sind in Machtlosigkeit versunken.

Es bleibt nur ein Mittel,
und das ist dein Herz.
Strebe danach,
dass du dein Herz wach erhältst.
Und wenn es wach ist,
wird es bedürfnislos von Gott,
denn es wird in Ihm aufgehen.

Rabia von Basra (716 – 801)